8. Kapitel-Flexibilität-Flexibilität-Flexibilität

@A
Stück für Stück "sickern" wir hier ein in das Umfeld der Orureños und die Mentalität "sickert" ein in uns. Nicht immer reibungslos, aber immer öfter. Das ist natürlich hauptsächlich ein Problem von mir: ich fühl mich manchmal wie der Rilke'sche Panther: ich will, aber kann nicht.
Der Unterricht in der Musikschule erstreckt sich auf viele kleine Einheiten in "trabajo corporal", wie es hier genannt wird und das ist den SchülerInnen gänzlich unbekannt, obwohl sie bei rhythmischen geschriebenen Übungen sehr fortgeschritten sind. (im Vergleich zu Deutschland)
Die Professoren gehen mit meiner Anwesenheit eher schüchtern um, nachdem Besuch hier generell nicht so häufig ist, ist das auch kein Wunder. Die SchülerInnen sind offen und experimentierfreudig, das freut mich.
 Die Deutsch-Nachhilfe ist bei Schulabgängern sehr beliebt, viele wünschen sich einen Studiumsaufenthalt in Deutschland, sind aber nach 12 Jahren Schule weder in Englisch noch in Deutsch ansatzweise auslandstauglich.

Viele Kleinigkeiten des Alltags fühlen sich immer noch an wie Sand in meinem  europäischen  Getriebe: verstopfte Straßen Tag -täglich durch Verkäufer mit Handkarren, die ein Tonband mit Kaufempfehlung in Dauerspule abspielen, Verkäufer an Ständen die einem zurufen: "Barato, mamita,  pase pase!" Unmengen an Menschen mit unterschiedlichsten Lasten oder Babys in bunten Tüchern auf dem Rücken, Autos, Bussen, dazwischen Polizisten, die permanent wild fuchtelnd in ihre Trillerpfeifen pusten, um was immer auch anzusagen. Einkauf am Markt: Kartoffeln, Karotten, Petersilie, Gurken und Tomaten. Ich hätte aber gerne mal was anderes-gibts halt nicht.
  Das heißt, es gibt schon andere Dinge, aber die will ich noch weniger. Bei diesen Köpfen handelt es sich im Übrigen um eine Delikatesse, die sehr teuer im Restaurant als Ganzes serviert und verspeist werden (ja, auch die Augen, und ja- nachdem sie hier ohne Kühlung den lieben langen Tag liegen) Das Blut unter dem Tisch wird im übrigen regelmäßig von vorbei streunenden Hunden sauber aufgeschleckt-. ok, manchmal naschen sie auch ein bisschen an den Köpfen.
Das Visum verlängern wollen bei der Migration und mit einem Berg an: Das brauchen wir dafür und das und das nach Hause gehen. Zweiter Versuch: der Ehemann sagt die gleichen Worte und plötzlich (!) ist alles einfach: Stempel und fertig. Könnt ich mich sehr ärgern.... Kein Wasser den ganzen Tag lang, (auch  nicht für die Toilette) keiner weiß was , natürlich steht nirgends was- da war meine Toleranzschwelle dann überschritten- hat aber nichts gebracht, gibt niemand, bei dem ich mich beschweren könnte-also wieder was gelernt.
Vermissen, wünschen, leiden, ärgern-all diese Befindlichkeiten bekommen einen ganz ganz un-emotionalen Anstrich: es sind Zustände, die kommen und auch wieder vergehen.
Heute hab ich ein kleines, nettes Cafè entdeckt, ganz neu eröffnet, in dem sie wunderbaren Kaffee machen, mit toller crema und aus frisch gemahlenen Bohnen: das sind die kleinen Freuden! Kaffee ist nämlich ansonsten hier (fast) ungenießbar.
 Direkt vor unserem Küchenfenster dann ein weiteres highlight: Ein Regenbogen über den Dächern von Oruro. Sogar das violett war zu sehen!





@W
jetzt sind wir schon fast 4 Wochen in Oruro, langsam gewöhne ich mich an die Höhe, ich muss nicht mehr schnaufen, wenn ich im 3. Stock vor unserer Wohnung angekommen bin. In der Arbeit beschäftigen wir uns zur Zeit hauptsächlich mit solarbetriebenen Wasserpumpen. Vieles läuft anders als in Österreich oder Deutschland. Bevor technische Datenblätter gelesen werden, wird erst mal ausprobiert. Ich bemühe mich das complejo solar etwas deutscher zu machen, aber das ist nicht einfach. (@A 😂😂😂 unmöglich!!!)
Oruro ist in Bolivien nur für eine Sache bekannt, den Karneval. Er soll der zweitgrößte Karneval der Welt zu Ehren der Virgen, die über der Stadt thront, sein. Trainiert wird für den Karneval eigentlich täglich. Carla, David und ich überlegen, ob wir mittanzen. Vor zwei Wochen war das "primer convite", die erste von drei öffentlichen Proben, großteils noch ohne Kostüme, hier ein paar kurze Impressionen:


Vor zwei Wochen waren wir übers Wochenende in La Paz, mit dem Bus ist man in drei Stunden dort. La Paz liegt in einem Talkessel auf 3700 Meter. Neun Seilbahnen (Doppelmayerlifte) fungieren als öffentliche Verkehrsmittel. Wenn man von El Alto (inzwischen auch eine Millionenstadt) nach La Paz schwebt, ist das schon sehr beindruckend.




Wir waren an todos santos (hier: 2. November) am Friedhof in La Paz. Die gesamte Stadtbevölkerung scheint an diesem Tag am Friedhof zu sein, Tausende und Abertausende, anders als bei uns erinnert das ganze allerdings mehr an ein Volksfest, die Stimmung ist viel fröhlicher. Der gesamte Hausstand wird mitgebracht, es wird gekocht und gegessen, kleinen Musikgruppen ziehen von Grab zu Grab, die Grabnischen werden geputzt und mit Gaben in Miniaturformat versehen, die der/die Verstorbene besonders mochte: Da stehen Colafläschchen, Zigarren, Wiskeyfläschchen, Tellerchen mit diversen Essen, Blumen...

 Am letzten Tag in La Paz waren wir dann voll "GRINGO", wir haben uns für 50 Euro ein Taxi gemietet, das uns nach Tiwanaku bringt (ca 1,5 Stunden von La Paz) und dann wieder zurückfuhr. Aber es hat sich gelohnt. Nach Machu Pichu ist Tiwanaku die bedeutenste Ausgrabungsstätte Südamerikas. Nur ein ganz kleiner Teil ist bereits ausgegraben. Die Tiwanakukultur ist noch weitaus älter, als die der Inka.
Der Tiawanakukult begann schon ca. 500 v. Chr. ! Da sind die Inka im Vergleich "Jungspunde" auf dem Zahlenstrahl ganz rechts der kleine blaue Streifen: das war die Zeit der Inka.
Sehr beeindruckend sind die Ausgrabungen, die von unschätzbarem Wert sind, leider wurde nicht immer sorgfältig damit umgegangen, so sind viele handbehauenen, tonnenschweren Steine, die millimetergenau passend verbaut waren, ( angeblich von den Spaniern) gestohlen worden und finden sich jetzt in Kirchen in der Nachbarschaft wieder, z.Teil mit Original-Inschriften.




Auch heute sind die Statuen, Pyramidenüberreste und die "Puerta del Sol" ohne Schutz dem Wetter ausgeliefert, obwohl Weltkulturerbe . Das "Intipunku" wiegt 44 Tonnen, ist aus einem Stück Stein gehauen ( der viel später, wie man auf dem Bild sieht, auf Grund eines Erdbebens umfiel und zerbrach) und mit unzähligen Zeichen, Kondor- und Pumaköpfen sowie Menschenköpfen reliefartig verziert. Ein Rätsel ist, wie dieses Gewicht bewegt werden konnte zu einer Zeit, da die Erfindung des Rades noch in weiter Ferne lag...



Ein interessantes Detail zur Wahl des Ortes, in dem diese antike Kultstätte errichtet wurde: Sowohl der mechanische Kompass unserer Führerin als auch, wie auf dem Bild zu sehen, Carlas mobil-Kompass ändern die N-S Ausrichtung um 180 Grad, sobald sie mit diesem Stein in Berührung kommen.







Und ganz zum Schluss Oruro, unser Lebensmittelpunkt der nächsten Monate von oben ( da waren wir auf der Attraktion von Oruro: der Virgin del Socavón, einem mirador  auf 3883 m Höhe):
@A
          Nachtrag  zu La Paz: tolle Architektur, von sehr alt: Santo Domingo, erbaut 1609 (war leider               geschlossen).......


..........bis ganz  neu:
ein sogenanntes Cholet-Gebäude eines indigenen
 Architekten: Freddy Mamani, inzwischen weltberühmt.
Eine wohltuende Abwechslung zu den ansonsten unverputzen Ziegelfassaden.














...und La Paz bei Nacht,
buenas noches!

















@D
Seitdem ich in Oruro zur Schule gehe, geht es mit dem Spanisch super schnell voran, weil ich es jeden Tag brauche. In meiner Klasse sind die Leute super nett und offen, der Unterricht ist vollkommen unpersönlich und komplett anders als in Deutschland, viele Lehrer kennen nicht die Namen der Schüler und auch ich wurde erst nach zwei Wochen Unterricht von dem ersten Lehrer nach meinem Namen gefragt. Mir kommt es so vor, dass es hier nur wichtig ist, dass die Lehrer ihren Stoff abarbeiten. Wer hier was lernt, ist egal.
In der Schule müssen alle Uniform tragen und wenn ich am Abend ( die Schule geht von 8.00 -17.30 Uhr mit 2 Stunden Mittagspause) nach Hause komme fühle ich mich wie irgend ein Geschäftsmann, der nach seinem harten Arbeitstag keinen Bock mehr auf seinen Anzug hat.
Mir ist aufgefallen, dass die Sichel des Mondes hier nach oben geöffnet ist. Da wir uns ca. 60 Breitengrade weiter südlich auf der Welt befinden ist der Mond auch um 60° gedreht. Der Mythos, dass sich hier das ablaufende Wasser in eine anderer Richtung dreht stimmt aber nicht. Es ist Zufall, ich habe es selbst getestet.


@C
Ein normaler Schultag läuft bei mir so ab : um 6.00 Uhr aufstehen, frühstücken, um viertel vor acht zu Schule gehen, die um 8.00 Uhr beginnt . Dann haben wir immer Doppelstunden,  am Vormittag, jeweils 90 min., und am Nachmittag jeweils 80 min. In der Mittagspause esse ich Zuhause etwas, dann um halb drei wieder in die Schule, bis halb sechs . Um kurz vor sechs endlich Zuhause, Uniform ausziehen, Abendessen und dann ins Bett.
Während der Woche habe ich also nicht viel Zeit und am Wochenende mache ich auch nicht allzu viel.
Der Schulalltag, nach knapp vier Wochen, stellt sich anstrengender heraus, als ich es an den ersten Tagen gedacht habe, denn zu dem, dass wir so lange Schule haben kommt noch dazu, dass der Unterricht sehr schlecht ist, dadurch langweilig und die fast nur alten Lehrer leben noch im 19. Jahrhundert. Wenn man zu spät kommt darf man nicht mehr in die Klasse und muss warten bis der Lehrer nach ca. 30 min. die Türe aufmacht, die manche Lehrer auch zusperren. Einmal war es auch so, dass die Kinder die ganzen ein und halb Stunden vor der Türe warten mussten (was wahrscheinlich keine Seltenheit war). Bei einem Lehrer ist es so, dass, wenn man etwas falsch sagt man sich entweder hinten in die Klasse stellen muss oder auch vor die Türe, wo dann am Schluss der Stunde die Hälfte der Klasse steht. Da denkt man sich wirklich, ob die denken können, dass das Sinn macht. Die meisten Lehrer sind sehr unfreundlich zu den Schülern (zu mir sind die meisten Lehrer nett, da ich ja von Deutschland komme und immer "brav" bin ) Da sieht man, dass hier Gleichberechtigung keine Rolle spielt.
Was das lustige ist, ist mit meinen Freunden in den Pausen zu reden oder in den Unterrichtsstunden ein Projekt mit ihnen gemeinsam zu machen.
In der Schule gibt es auch 3-4 junge Lehrer bei denen der Unterricht lustig ist und auch Spaß macht.
La Paz ( wo wir vorletztes Wochenende waren ) ist eine schöne und sehr interessante Stadt:

Das ist die Altstadt in La Paz, wo auch mal keine Autos fahren........







........und dann steht mitten in der Altstadt, hinter der Kirche, das mind. 20-stöckige Regierungsgebäude von Präsident Evo Morales ........



Wie gesagt die einzige Attraktion in Oruro ist die "Virgin", die wir natürlich auch besichtigt haben, man kann mit dem Teleferico hinauf-fahren.



Hasta luego ( im Selfie von Oruro)



Kommentare

  1. Parece que tenais buenas experiencias en un parte de mundo muy differente. Muchas gracias pa' compartirlo publico ... saludos deste Austria

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  2. Ach..schön! Ich hab eure Erzählungen sehr genossen und bin aus Berlin mit euch mitgereist.
    @A fühlt dich umarmt.

    liebe grüße
    margarita

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